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Freiheit. Ich schreibe deinen Namen.


«Liberté, j’écris ton nom» von Paul Éluard 1942

Frei übersetzt ins Deutsche von Vanessa Cognard (dt./frz.)
und gemeinsam mit Sarah Benko (ung.) grafisch interpretiert
zur Ausstellung Kunst am Kamin 2022 in Aberzhausen.

Sur mes cahiers d’écolier
Sur mon pupitre et les arbres
Sur le sable sur la neige
J’écris ton nom

Auf meine Hefte aus der Schule
Auf mein Pult und aufs Gehölz
Auf den Sand, auf den Schnee
Schreibe ich deinen Namen

Sur toutes les pages lues
Sur toutes les pages blanches
Pierre sang papier ou cendre
J’écris ton nom

Auf all die schon gelesenen Seiten
Auf all die noch unbeschriebenen Seiten
Stein Blut Papier oder Asche
Schreibe ich deinen Namen

Sur les images dorées
Sur les armes des guerriers
Sur la couronne des rois
J’écris ton nom

Auf goldene Ikonen
Auf die Waffen der Krieger
Auf die Krone der Könige
Schreibe ich deinen Namen

Sur la jungle et le désert
Sur les nids sur les genêts
Sur l’écho de mon enfance
J’écris ton nom

Auf den Urwald und die Wüste
Auf die kleinen Nester im Ginster
Auf das Echo meiner Kindheit
Schreibe ich deinen Namen

Sur les merveilles des nuits
Sur le pain blanc des journées
Sur les saisons fiancées
J’écris ton nom

Auf die Zauber der Nächte
Auf das helle Brot bei Tageslicht
Auf die sich verlobten Jahreszeiten
Schreibe ich deinen Namen

Sur tous mes chiffons d’azur
Sur l’étang soleil moisi
Sur le lac lune vivante
J’écris ton nom

Auf all meine azurfarbenen Lumpen
Auf den Teich im modrigen Sonnenlicht
Auf den See unter lebhaftem Mond
Schreibe ich deinen Namen

Sur les champs sur l’horizon
Sur les ailes des oiseaux
Et sur le moulin des ombres
J’écris ton nom

Auf die Felder am weiten Horizont
Auf die Schwingen der Vögel
Und mit Schatten auf die Mühle
Schreibe ich deinen Namen

Sur chaque bouffée d’aurore
Sur la mer sur les bateaux
Sur la montagne démente
J’écris ton nom

Auf jeden Hauch der Morgenröte
Auf das Meer, auf die Schiffe
Auf den Berg ohne Erinnerung
Schreibe ich deinen Namen

Sur la mousse des nuages
Sur les sueurs de l’orage
Sur la pluie épaisse et fade
J’écris ton nom

Auf das Schäumen der Wolken
Auf den kalten Schauer des Sturms
Auf den dichten schalen Regen
Schreibe ich deinen Namen

Sur les formes scintillantes
Sur les cloches des couleurs
Sur la vérité physique
J’écris ton nom

Auf die glitzernden Formen
Auf das bunte Glockengeläut
Auf die greifbare Wahrheit
Schreibe ich deinen Namen

Sur les sentiers éveillés
Sur les routes déployées
Sur les places qui débordent
J’écris ton nom

Auf die erwachten Pfade
Auf die ausgetretenen Straßen
Auf die überquellenden Plätze
Schreibe ich deinen Namen

Sur la lampe qui s’allume
Sur la lampe qui s’éteint
Sur mes maisons réunies
J’écris ton nom

Auf die Lampe die erleuchtet
Auf die Lampe die erlischt
Auf meine wiedervereinten Häuser
Schreibe ich deinen Namen

Sur le fruit coupé en deux
Du miroir et de ma chambre
Sur mon lit coquille vide
J’écris ton nom

Auf die geteilte Frucht
Des Spiegels und der Kammer
Auf mein Bett, wie ein leeres Gehäuse
Schreibe ich deinen Namen

Sur mon chien gourmand et tendre
Sur ses oreilles dressées
Sur sa patte maladroite
J’écris ton nom

Auf meinen Hund, gefräßig und sanft
Auf seine aufgestellten Ohren
Auf seine unbeholfene Pfote
Schreibe ich deinen Namen

Sur le tremplin de ma porte
Sur les objets familiers
Sur le flot du feu béni
J’écris ton nom

Auf die Schwelle meiner Tür
Auf die vertrauten Dinge
Auf den Sog geweihten Feuers
Schreibe ich deinen Namen

Sur toute chair accordée
Sur le front de mes amis
Sur chaque main qui se tend
J’écris ton nom

Auf all des Leibes Hingabe
Auf die Stirn meiner Freunde
Auf jede gereichte Hand
Schreibe ich deinen Namen

Sur la vitre des surprises
Sur les lèvres attentives
Bien au-dessus du silence
J’écris ton nom

Auf das Fenster des Erstaunens
Auf die erwartungsvollen Lippen
Weit hoch über der Stille
Schreibe ich deinen Namen

Sur mes refuges détruits
Sur mes phares écroulés
Sur les murs de mon ennui
J’écris ton nom

Auf meine zerstörten Zufluchten
Auf meine zerfallenen Leuchttürme
Auf die Mauern meines Kummers
Schreibe ich deinen Namen

Sur l’absence sans désir
Sur la solitude nue
Sur les marches de la mort
J’écris ton nom

Auf den Verzicht ohne Verlangen
Auf die nackte Einsamkeit
Auf die Treppenstufen des Todes
Schreibe ich deinen Namen

Sur la santé revenue
Sur le risque disparu
Sur l’espoir sans souvenir
J’écris ton nom

Auf die erlangte Genesung
Auf das verschollene Wagnis
Auf die Hoffnung ohne Gedenken
Schreibe ich deinen Namen

Et par le pouvoir d’un mot
Je recommence ma vie
Je suis né pour te connaître
Pour te nommer

Und durch die Macht eines Wortes
Beginn ich neu mein Leben
Ich bin geboren, um dich zu kennen
Dich zu nennen

Liberté.

Freiheit.

Die Motivation für die neue Übersetzung

Jürgen Zeller hatte das Gedicht Liberté in der französischen Originalfassung mit seinen Gemälden von Schafen verarbeitet. Im Sommer gab es ein erstes Treffen zur Kunstausstellung. Jürgen und Vanessa kannten keine Übersetzung im Deutschen, die den beiden gefiel.

Vanessa kam sofort die Idee, eine neue Fassung zu schreiben um ein übergreifendes Kunstprojekt zu schaffen, bei dem jede Strophe des Gedichts grafisch interpretiert wird. Sarah Benko brachte dabei eine äußerst interessante Belichtungstechnik ins Spiel, die Cyanotypie. Über die folgenden Wochen wurde die Beschäftigung mit den surrealistischen Versen immer intensiver, und Vanessa entdeckte zunehmend persönliche Verbindungen in den Motiven.

Gedichte sind gesprochene Musik

Vanessa: „Ich möchte eine Über-Setzung, also eine Übertragung, die nicht hölzern ein Original wortwörtlich wiedergibt, sondern Lyrik in der anderen Sprache wieder melodisch zum Schwingen bringt. Gedichte sind für mich wie Musik, sie lassen Gefühle in uns unmittelbar erklingen.“

Paul Éluard war Surrealist. Manche verschlüsselte Bedeutung bleibt dem Dichter und seinen Zeitzeugen vorbehalten und müssen natürlich im Kontext Anfang 1940er Jahre gelesen werden.